Ein Traum lernt fliegen
Montagmorgen 1992, 6.30 Uhr. Wieder einmal störte mich der Wecker in einem schönen Traum. Aber doch nicht zu früh. Ein "Traumdrachen" hatte sich bereits in meinem Kopf festgesetzt: Ein schmaler Ring aus einzelnen Segmenten, der sich im Flug drehte.
Von den Physikvorlesungen an diesem Morgen bekam ich nicht sehr viel mit. In meinem Heft befanden sich mehr Drachenskizzen als Formeln. Aber es war natürlich nicht so leicht, einen geträumten Drachen nachzubauen. Die ersten Überlegungen gingen in Richtung eines sternförmig angeordneten Stabgerüstes, an dessen Enden die Segmente aufgespannt werden sollten. Es tauchten allerdings schnell die ersten Probleme schon bei den Skizzen auf: Ich hatte keine Möglichkeit, ein stabiles Sterngerüst zu bauen, da ich keinen geeigneten Mittelverbinder hatte und auch keine Möglichkeit sah, eine Waage anzubringen und schon garnicht eine für einen Lenkdrachen.
Der zweite Gedanke war, die Segmente in einem Ring zu spannen, und diesen Ring dann über kleine Rollen auf irgendeinem Haltegerüst rutschen zu lassen.Nach der Vorlesung machte ich mich erstmal an den Segmentring. Da ich gerade nichts anderes als Elektrorohre und Müllsackfolie dahatte, wurde der Ring eben daraus gebaut. Das ganze Gebilde erinnerte allerdings eher an einen nassen Putzlappen, als an eine starre Drachenscheibe.
Aber dann kam doch noch die rettende Idee: Senkrecht zur Scheibe wurde ein Stab durch den Mittelpunkt gesteckt und der Ring zu den Stabenden hin abgespannt. Das Ganze war nun überraschend stabil.
Nun mußte ich mir nur noch ein Haltegerüst für das Ganze überlegen, da ich an dem Rotor nun mal keine Waage anbringen konnte.
Ohne Drehung wäre die Anbringung der Waage kein Problem gewesen, aber ich wollte nun einmal einen sich drehenden Drachen. Das Nächstliegende war dann, eine dem Rotor ähnliche Konstruktion zu bauen, also einen Ring, der zu den Stabenden hin abgespannt wurde. In diesen Ring wurde der Rotor eingesetzt, wobei dessen Abspannschnüre an einem Lager befestigt wurden, das zu diesem Zeitpunkt noch aus Holzteilen zusammengebastelt war.
Die Waageanbringung wollte ich bei dem ersten Probeflug ausprobieren. Doch dieser ließ auf sich warten, denn inzwischen war es Winter.
Im Frühjahr geschah sogar das Wunder, daß in unserer Nachbarstadt (Donaueschingen) ein Drachenfest stattfinden sollte. Ich fuhr also mit meinen sämtliche Drachen hin. Meine immer noch nicht ausprobierte Neukonstruktion, die bei mir auf den Namen "UFO" hörte, packte ich auch mit ins Auto, was etwas schwierig war, weil sie etwas groß geraten war.
Es herrschte die in unserer Gegend fast schon übliche Windstärke, nämlich gar keine. Ich baute das UFO aber trotzdem einmal auf, da ich sonst nichts anderes zu tun hatte und außerdem noch niemand aus den anderen Drachenclubs kannte, denn dies war schließlich mein erstes Festival.
Ich hatte aber nicht mit dem Aufsehen gerechnet, das mein Drachen schon am Boden erregte. Ich möchte nur zu gerne wissen, wieviele Meter Film ich mit dieser Konstruktion auf dem Gewissen habe. Da mir der ganze Aufstand aber allmählich unheimlich wurde, erkundigte ich mich bei einigen anderen Drachenfliegern, ob man solche Konstruktionen irgendwie gesetzlich schützen lassen konnte, was ich auch kurz darauf tat.
Am Abend frischte der Wind sogar soweit auf, daß die ersten Flugversuche möglich waren. Doch der Drachen kippte einfach zur Seite aus dem Wind, und die Größe, Durchmesser immerhin 4m und 2m hoch, erwies sich doch als sehr unhandlich.
Als nächstes baute ich mir eine verkleinerte Version, Durchmesser 1m, die aus Kohlefaser und Spinnaker bestand. Durch eine leichte Änderung im Segelprofil konnte ich verhindern, daß der Drachen schon beim Start aus dem Wind kippt. Allerdings ließ er sich nur mit drei Schnüren in der Luft halten, das auch nur so lange, bis eine Böe den Drachen "anschubst", was meist nach einigen Sekunden der Fall war. Dann begann er sich in Spiralen unaufhaltsam dem Boden zu nähern, und an irgendwelche kontrollierten Lenkbewegungen war schon gar nicht zu denken. Außerdem hatte sich der Innenring bei etwas stärkerem Wind sofort zusammengefaltet.
All diese Flegeleien wollte ich dem Drachen im Sommerurlaub an der Ostsee austreiben, was auch recht gut gelang. Der Mittelstab wurde verlängert, um den Innenring am Zusammenfallen zu hindern, und die drei Schnüre wurden durch eine Waage auf zwei reduziert, deren Enden allerdings noch sehr weit auseinanderliegen mußten. Diese wurden an einer 2m langen Lenkstange befestigt. An Kunstflug war aber immernoch nicht zu denken, mit der Lenkstange konnte ich den Drachen nur etwas ausbalancieren.
Durch einen Tip von einem anderen Drachenflieger beim Drachenfest in Aalen kam ich schließlich auf die Idee, den Drachen mit einem Seitenruder zu stabilisieren. Nun war sogar Kunstflug möglich und das sogar mit zwei ganz normalen Griffen.
Da das Interesse an meinem Drachen immer noch sehr groß war, wollte ich mal versuchen, ob sich vielleicht eine Drachenfirma für die Produktion interessiert, was bei Uwe Gryzbeck von AVANTGARDE der Fall war.
Nach einer Flugpause, denn es war schon wieder Winter, versuchte ich meinen Drachen, dessen offizieller Name nach einer Namenssuche in Form eines Wettbewerbes auf "Odyssee 3001" festgelegt wurde, auch als Einleiner in die Luft zu bekommen, was mit einem veränderten Seitenruder auch überraschend leicht gelang.
Nun wollte ich auch einen ersten (zu groß geratenen) Drachen als Einleiner in die Luft bringen. Er wurde also komplett mit Kohlefaser und einem Seitenruder ausgerüstet. Aber sein erster Flugversuch in Kamen endete sehr schnell mit einem Gestängesalat, da die Kohlefaser für die Ringe nicht geeignet war und zerbrach. Es war wieder ein Umbau fällig.
Der Innenring wurde aus Glasfaser gebaut, und der äußere Haltering wurde durch ein vereinfachtes Gerüst aus Kohlefaser ersetzt. Allerdings mußte ich dann einige Zeit auf noch fehlendes Material warten.
Währenddessen wollte ich, nach einer früheren Idee, einen anderen Drachen bauen, der aus vier Rotoren besteht, die nebeneinander an einem gemeinsamen Haltegerüst befestigt sind. Bei dem Bau stellte sich heraus, daß die Drachenhälften um einen Mittelpunkt drehbar waren. Ich wollte mir schon lange einmal einen Vierleiner bauen, so konnte ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und baute den neuen Drachen als Vierleiner. Da ich aber noch nie einen Vierleiner geflogen hatte, konnte ich nicht sagen, ob es an mir oder an dem Drachen lag, daß er sich mehr am Boden als in der Luft befand. Inzwischen kam allerdings das erwartete Material, und der Vierleiner landete erst einmal im Keller.
Inzwischen rückte der Anmeldeschluß zur Deutschen Meisterschaft immer näher. Ich wollte mich mit dem kleineren Einleiner anmelden oder mit dem gerade im Bau befindlichen, falls er fliegt. Ich hatte allerdings keine Ahnung in welcher Klasse, aber das wurde durch einen Anruf bei Ralf Dietrich geklärt: Der Drachen paßte am besten in die offene Klasse; wenn er aber mehrere Ebenen hätte, wäre er ein Kastendrachen. Darauf kam mir die Idee, den großen Drachen mit mehreren Ebenen zu bauen, was sich auch auf die Flugeigenschaften positiv auswirken sollte, da sich die einzelnen Ringe entgegengesetzt drehen. Ich meldete mich also in diesen beiden Klassen an und hoffte, daß der große Drachen bis dahin fliegen würde.
Mit der Vergrößerung des Seitenruders gab es allerdings gewaltige Materialprobleme: Kohlefaser war zu spröde und Glasfaser zu weich bzw. zu schwer.
Ich versuchte noch einige andere Formen, aber alle störten beim Start. Bei einem Flugversuch auf einem Festival war ich dann von dem Seitenruder so genervt, daß ich es einfach abmontiert habe und versuchte, so zu fliegen.
Der Drachen war überraschenderweise relativ stabil, aber es reichte doch noch nicht ganz zum Fliegen. Einer der Drachenflieger hatte gerade ein langes Absperrband da, das wir dann als Schwanz an den Drachen banden. Jetzt flog er stabil. Ich weiß aber bis heute noch nicht so genau, warum dieser Drachen auf einmal kein Seitenruder mehr braucht, die vorhergehenden Drachen konnten alle nur mit einem Seitenruder fliegen, aber Hauptsache, er flog.
Nun mußte ich aber noch schnell einen etwas eleganteren Schwanz nähen, denn in einigen Tagen wollte ich schon zur Meisterschaft. Dort setzte dann das Wetter meinem Drachen etwas zu. Es war Dauerregen, und einige Teile der Lager bestanden aus Holz, das munter vor sich hin quoll. Die Böen zeigten mir einige Stellen, die ich schnellstens verstärken sollte. Der Drachen hielt aber doch noch bis zur Bewertung durch, flog jedoch nur kurz und mit viel Rennen, da zu diesem Zeitpunkt der Wind etwas abgeflaut war. Es reichte aber sogar für den zweiten Platz.
Der kleinere Drachen hatte zwar mit dem Wind etwas mehr Glück und konnte sich das Flugfeld von oben anschauen, er schaffte einen sechsten Platz
Eigentlich dachte ich, ich könnte mich am zweiten Tag der Meisterschaft etwas ausruhen, da nun die Lenkdrachen dran waren. Aber das änderte sich schnell, als ich mit meinem Vierleiner etwas üben wollte. Uwe Gryzbeck wurde neugierig, als er sah, daß dieser Vierleiner durch die vier Rotoren zu ganz neuen Tricks fähig war, der Drachen konnte z.B. wie ein Fahrrad über den Boden rollen. Das Ganze endete damit, daß er nach 10 Minuten Üben mit diesem Drachen bei den Vierleinerwettbewerb mitmachte. Die Zuschauer waren begeistert, aber die Jury konnte natürlich nur die Leistung des Piloten bewerten und nicht die Neuheit des Drachens.
Zur Zeit versuche ich noch, die Flugeigenschaften der Drachen zu verbessern und sie an verschiedene Windstärken anzupassen. Mal sehen, was sich dabei Neues ergibt.